Mensch und Tier

 

Wieviel Tier in uns?

Wieviel Tier in uns? Daß es eine Stimme erhielte. Damit es nicht verwechselt werde als lammfromm, ruhig ergeben um seine Schelle bittend. Hat es doch einen stilleren Instinkt als der gute Hirte, der falsche Prophet. Am Reißbrett designed zu Leben unterm Mikroskop gebracht zur Serienreife in Ställen Pharmafabriken, in Käfigen, Organbanken, in Labors Ersatzteillager.

 

Was spricht der Rindfleischmensch?

Was spricht der Rindfleischmensch? Mit den Frischzellen in den Adern aus der Monokultur im Schafstall und dem eingebrannten Siegel auf der Stirn? Alles nur kolportiert, eine Ente? Blaupause der Natur? Auf den Phänotyp kommt es an, in diesem unheimlichen Zoo ist gezwittert das Huhn, halb Wachtel, weil hirntransplantiert, werden wir im Zuge der Globalisierung und chinesischem Jahr des Ochsen eingespannt ins Humanum, sorgen für Expertenkonferenzen über Genome, Deklarationen, Konventionen, klare weltweite Absprachen, internationalen Konsens ohne genetischen Schüttelprozeß und Vivisektion der Keimbahnen im Namen aller Herden transgener Tiere nach Paragraph sechs zum Schutz der Würde. Mitgeschöpfe haben dem homo sapiens zu dienen in Güterabwägung.

 

Wieviel Angst in uns?

Wieviel Angst in uns? Wieviel Schweineherz und Rinderzunge? Befruchtete Eizellen weggeworfen und vernichtet. Überbevölkerung. Adieu, schöne alte Welt! Gefangen. In der Resistenzfalle. Die Mikroben proben den Aufstand, machen die Rechnung ohne den Wirt. Grenzen sind längst überschritten, überhaupt alles, was möglich ist, wäre es sonst? Unterdessen verlassen Hausstaubmilben zehnfach vergrößert die Labors durch Türspalten und Fensterritzen, verschleppen Sporen in die dünnen Zellmembranen, besetzen ferngesteuert die Mitochondrien. Zurück lassen sie schnell wachsende, patentierte weiße Mäuse mit vermenschlichtem Blut. Hirngespinste. Gnome und Chimären. Eine Dingwelt nur aufgeladen mit und ohne Bedeutung? Während das freie Tier, Urbild und Abbild, seinen Untergang stets hinter sich hat.

 

Scriptum, Schweizer Literaturmagazin. 1998

 

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