Zukunftssüchtig

Im letzten Sommer

Tiefliegen
Schwalbenschwärme
Behindern den Verkehr
Braune Nadeln fallen
Sparen Energie
Auf Landstraßen
Wird der Augenblick gemessen
An den Kosten
Glüht der Zeitpfeil
Zukunftssüchtig trifft ins Herz

 

Der gläserne Mensch

Uns schützt das Maß

Wenn bei freiem Windspiel
Die Silberfäden erstrahlen
Im Lied dem Tanz der Silene

Schüttle den Schlaf der Welt
Bis zum Rand des Horizonts
Und über die Meere hinaus

Doch eigene Netze
Wirft der gläserne Mensch
Baut weiter Mauern
Umringt von  Wehrtürmen
Sich selbst zu schützen
Vor seiner Aschengestalt

 

Tibooburra

Zweite Stellungnahme aus dem Äther
Raumsonde zerschellt im Irrflug
Nach achtundzwanzig Stunden

Filmdosengroße Giftbatterien
Zweihundertachtunddreißig
Aufgeprallt
In sechstausend Meter Tiefe
Ein Schlag ins Wasser verwischt
Nahe dem Marsfeld der Osterinseln
Spuren früheren Lebens

Alarm in den Wettbüros in Tibooburra
Niedergang ist kein Untergang
Sagen die Buchmacher nicht steuerbar
Der unbekannte Flugkörper
Ein nationales kosmisches Unglück
Stehe sicher nicht bevor

Getrost sei auf Granatkristalle
Gesetzt und auf Freibier aus Dosen

Australische Streitkräfte
kehren in die Kasernen zurück

 

Diasterra

Dritte Stellungnahme aus dem Stereo
Stern der achten Dimension sucht Eva

Countdown im transkulturellen Austausch
Adresse Marsstraße zehn
Gegenüber sechster Stock
Nebelwand mit geringer Sichtweite
Vier Wolken luftkissengeprüft
Auf Magnetfeldern in Diasterria
Raumstation im Orbit unterwegs
Getestet mit dem fünftem Auge durch Netzlaser
Im Jahr zweitausendundsiebenundsechzig

Um gemeinsam neue Kolonien
Für die Counter-Population
Mit asteroiden Genen aufzuforsten

Schneller dreht sich die Erde
Um die eigene Achse
Langsam entfernt sich der Mond

 

Das Tier

Klone im Schafspelz

Eingestampfte Kadaver, Fischmehl für die Pflanzenfresser: aufgezwungener Kannibalismus rächt sich schwammartig. Hirnerweichung, Tollwut, Delirium.
Dann lieber zu Stäbchen gepresst das Heu für das Wundertier ohne Hammel mit drei Müttern. Eineinhalbeiiger Doppelgänger, Abziehbild neunundneunzig-prozentig und
erstes vaterloses Säugetier.

 

Wieviel Angst in uns?

Wieviel Schweineherz und Rinderzunge. Befruchteten Eizellen weggeworfen, vernichtet.
Überbevölkerung. Adieu, schöne alte Welt!
Gefangen in der Resistenzfalle. Die Mikroben proben den Aufstand, machen die Rechnung ohne den Wirt. Grenzen sind längst überschritten, überhaupt alles was möglich ist – wäre es sonst?
Unterdessen verlassen Hausstaubmilben zehnfach vergrößert die Labors durch Türspalten und Fensterritzen, verschleppen Sporen in die dünnen Zellmembranen, besetzen ferngesteuert die Mitochondrien. Zurück lassen sie schnell wachsende patentierte weiße Mäuse mit vermenschlichtem Blut. Hirngespinste, Gnome und Chimären. Eine Dingwelt nur aufgeladen mit und ohne Bedeutung? Während das freie Tier, Urbild und Abbild seinen Untergang stets hinter sich hat.

 

Für die Verbraucherketten

Für die Verbraucherketten. Die schnelle Nutztiervervielfältigung mit den erwünschten Fleisch- und Wolleigenschaften ist, so wird andernorts bekräftigt, dynamisch zu lösen durch Massen- und Spassgesellschaften. Die Aktien steigen um sechzehn Prozent. Der Transfer mit Erfolg ausgeführt. Bei minus hundertsechsundneunzig Grad ist die Spender- und Eizelle gelagert, beliebig kopierbar. Zellmaterial, die Währung der Zukunft,
programmiert ohne Zeugungskette. Nach Maß wird der Selektionsdruck erhöht, mit feiner Mikrokanüle haargenau die Eizelle entkernt, zwischen elektrischen Drähten mit Lötkolben fusioniert, ausgesetzt unter drei Volt Spannung, verschmolzen nach Fehlversuchen,
ausgetragen das Tier.

 

in: Neue Sirene, Zeitschrift für Literatur, München, Nr. 8, 1998

 

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