Über Dichtung

 

Kunst und Dichtung sind Orte der Erinnerung an unsere Urängste und -sehnsüchte. Die aus diesen Dramen geschaffenen Mythen, Bilder und Klänge werfen ein Licht auf den dunklen Raum des Unheimlichen und Unbekannten. Sie bewahren das gemeinsame Gedächtnis der Menschheit auf, in dem die voneinander getrennte innere und äußere Welt wieder eins wird und in unserem Empfinden identitätsstiftend wirkt. Denn Mythen und Legenden verweisen auf eine Ordnung, die Vorstellungskraft und Natur zusammenführt.

Wenn Freud die Triebtheorie als unsere Mythologie bezeichnet: „Die Triebe sind mythische Wesen. Großartig in ihrer Unbestimmtheit“, so kann man diese Unbestimmtheit als Lebenskraft sich so vorstellen, dass wir, entsprechend dem genetischen Code, den wir in der belebten Natur sehen, im Mythos den poetischen Code des menschlichen Geistes erkennen.

 

 

 

In: Rosemarie Zens, Hidden Patterns, Berlin 2011