Neue Gleichungen


„Was wiegen die Wolken / Wie entdecken sie ständig / Neue Gleichungen /…“ fragt Rosemarie Zens in ihrem neuen Gedichtband „Eingeschrieben in Kohlenstoff“ und ironisiert den naturwissenschaftlichen Ansatz, alles wägen und wichten zu wollen. Nicht die Menschen sind es, die neue Gleichungen entdecken, sondern gerade die Wolken, jene nebelhaften Gebilde, die verhüllen und in denen sich kaum etwas erkennen lässt. Nicht wenige der oft philosophisch anmutenden, fein gearbeiteten Gedichte im Band ranken sich um das Geheimnis der Wahrnehmung. Was wird erkannt, was erinnert, was nehme ich im wahrsten Sinne des Wortes wahr? Lakonisch heißt es in „Absage: “ … / So wird es gewesen sein“ und in dem Gedicht „So oder so“: „… / So oder so ähnlich / Wird es gewesen sein“.

Dass vieles verschieden les- und erkennbar ist, wird auch ganz formal durch einen wiederholten Kunstgriff in Szene gesetzt: Mit einem geschickten Zeilenbruch und Worten/Wortgruppen, die sich zugleich in verschiedenen Sinnzusammenhängen lesen lassen. „… / Die ungeraden Linien / Bewahren den Rahmen / braucht das Bild / …“ Auf diese Weise werden die Texte vielschichtig, und enthüllen bei aller Knappheit auch beim zweiten und dritten Lesen ein neues Gesicht. Das aber müssen sie, wollen sie jenem poetologischen Credo gerecht werden, das in „Die Kunst der Fuge“ formuliert ist: „Damit tonangebend nichts unverwandelt / Gerettet werden kann die Kunst der Fuge“.
Kunst als Moment der Rettung – und wenn es nur darum geht, das Unmögliche zu versuchen. In einem wunderbaren, sentenzenhaften Gedicht bringt Rosemarie Zens ihre Lebens- und Kunstbejahung auf den Punkt:

 

Hellwach

Bleiben wir
Beim Versuch das Lied

Mit dem Mantel
Einzufangen

Kann ein Versagen
Versprechen sein

 

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10.06.2008