Als gingen wir vorüber
Gedichtauswahl 1979-1989

Besprechung von Helga Winter, München 1992

 

Lyrik hat es immer noch mit Gefühlen zu tun, auch mit Gedanken. Beides ist in den Gedichten von Rosemarie Zens nicht zu trennen. Das Gedankliche schafft hier die Distanz zu den Gefühlen, so daß sie sich ausdrücken können.

Ein anderes Mittel der immer spürbaren Distanzierung zu einer niemals bedrückenden Melancholie ist eine unbestimmbare Heiterkeit angesichts von glitzerndem „Flitterkram“. Vor allem ein immer wiederkehrender Rhythmus drückt diese Spannung in einer drängenden und sofort wieder gebremsten Bewegung aus.

Bei der ersten Begegnung mit den Gedichten offenbart sich – und dieses Thema bleibt latent immer präsent – ein Erstaunen darüber, daß etwas Bewegendes Sprache werden kann und will. Doch das geschieht unter Opfern. Die Gefühle von Einsamkeit und Trauer über die Vergänglichkeit verbergen sich hinter den Gedanken, die wiederum hinter den Bildern.

In ihnen überwiegt das Anorganische, Kristalline, in glitzernde Facetten sind selbst die organischen Gegenstände der Natur zerlegt: Wasser, Himmel, der Kosmos. Das Harte, der Stein ist ein bevorzugtes Motiv, bekommt aber auch wieder etwas Weiches, verbindet sich mit dem Regen, der seine Konturen auflöst und einbindet. Das Lebendige wird sofort trocken, trockene Blätter verwandeln sich in Schneeflocken. Das Thema der Vergänglichkeit bleibt schwebend, materialisiert sich nicht, nimmt vielmehr in einer kreisenden Zeit neue Formen an.

In den ersten Gedichten spricht ein lyrisches Ich von sich selbst, von Berührungen durch Blätter, von Stimmen, die rufen, es verbirgt sich mit wenigen Unterbrechungen und erscheint dann in vielen Rollen, als Kind und Gaukler, als Rattenfänger, Wanderer, Tänzer, als Greisin und Landstreicher oder als verspäteter Gast und gläserner Mensch. Das, was spricht, äußert sich in vielfältigen, vorwiegend männlichen Rollen.

Die späteren Gedichte werden persönlicher, richten sich zeitweise an ein Du. Hier spricht die Lyrikerin weniger verborgen. Die vorher eher prismatischen Flächen sind ausgedehnter, weiter: die Wüste, das Meer, die Ackerböden… Sie sind als Bilder Hintergrund und Nährboden für die sprachliche Gestaltungskraft. Ein elegisches wie auch kämpferisches Naturell hat in diesen Gedichten seinen Ausdruck gefunden.

 

Helga Winter (1944-1993)
Die in München promovierte Literaturwissenschaftlerin beendete kurz vor ihrem Tod das Buch „Naturwissenschaft und Ästhetik. Untersuchungen zum Frühwerk Heinrich Manns“. (Würzburg 1994)