Der Fotofilm – Die Idee einer vollendeten Zukunft        PDF

 

 

Traditionell tritt die Fotografie als Standbild an die Stelle der lebendigen Natur einer Bewegung. Sie fängt einen Augenblick ein und verdichtet Lebensmomente zu Erinnerungen. Im Gegensatz dazu steht der Film für eine strukturierte Zeit durch die Wahrnehmung von Bewegung. Da der Fotofilm im Wesentlichen auf Fotografien basiert, stellt er eine Schnittstelle zwischen beiden Medien dar und generiert damit ein eigenes Genre.

 

Filmemacher, die fotografieren, Fotografen, die filmen, und Medienkünstler im Allgemeinen knüpfen mit ihren medienübergreifenden Arbeiten an die Traditionen dieser besonderen künstlerischen Filmform an, motiviert auch durch die Möglichkeiten der technologischen Entwicklung. Seine spezifischen Inhalte findet der Fotofilm in den Spannungsfeldern zwischen materiell/ immateriell und sichtbar/ unsichtbar.

Die Idee einen Fotofilm zum Fotobuch Moon Rabbit. The Chinese Journey zu gestalten, war davon geleitet, den Aspekt „sichtbar/unsichtbar“ in den Mittelpunkt zu stellen: das Ephemere, das Detail, das Übersehene, das Verlorene. Es galt zudem herausfinden, wie durch Bild, Sprache und Ton sich ein Buchobjekt erweitern ließe, gemessen an der Erfahrung des Blätterns, Betrachtens der Bilder und des Lesens des Textes.

Die China-Aufnahmen, die einen Zeitraum von zwanzig Jahren umfassen, thematisieren auf vielfältigen Ebenen die Geschichte des Landes und dessen Selbstbehauptung, ebenso die Rückspiegelungen auf die westliche Lebenswelt. Die Zeitabwicklung im Fotofilm war vorgegeben durch die Beibehaltung der Buchstruktur eingeteilt in vier Kapiteln (Verwirrung, Entfremdung, Zusammenhang, Betrachtung). Gleichzeitig ist jedes Element – Klang, Musik, Sprache, Text und Bild – in einer Art Komposition miteinander verwoben. Diese Durchmischung der Felder basiert auf der Annahme, dass der Betrachter durch sinnliche Eindrücke und denkerische Bewegungen die Verwandlung von Zeit in Rhythmus wahrnimmt und Phantasie und Reflexion, Vorstellungs- und Urteilskraft in ihren Wechselwirkungen erfährt.

 

Gleichzeitig war es mir wichtig zu zeigen, dass die Sprache durch ihr Zusammenspiel mit dem Bild, mit der Sphäre des Visuellen eine eigene Entwicklung in Bezug auf Klarheit und Vielschichtigkeit nehmen kann.

 

So schaffen Bild, Ton und Sprache mit ihren Leerstellen und Zwischenräumen „Modulationen von Stille, Stillstand und Bewegung“ (1) und bringen dabei eigene Metaphern und Gedankenexperimente hervor. Der Fotofilm, so Gustav Hamos und Katja Pratschke, braucht aktive, mitdenkende Betrachter. ‘Photo-film authors experiment with the relationship of text, sound and image, reflecting on the composition of the cinematographic. They let us “think” cinema. […] In this context the photo ‘contains all states of time that refer to what has been. […] And on top of that, something is waiting for us there that is still becoming.’ (2) In der Tat scheint es naheliegend, den Fotofilm als eigenständige Kunstform, hier aufgezeigt am Beispiel von „Moon Rabbit“, dem Bereich des Poetischen und Philosophischen zuzuordnen und dabei die für die Medien Fotografie und Film charakteristischen Züge hervorzuheben.

Dieses Fotofilmprojekt wurde ermöglicht durch die Zusammenarbeit mit der Filmemacherin Katja Pratschke, der Sprecherin Isabelle Redfern, dem Sounddesigner Dominik Schleicher und dem Koloristen Moritz Peters möglich. Mein herzlicher Dank gilt dem gesamten Team.

 

©Rosemarie Zens, Berlin 2022

Die Idee einer vollendeten Zukunft stammt von Hubertus von Amelunxen, zitiert in: Gustav Hamos, Katja Pratschke, Thomas Tode, Sample Cities, Viva Photofilm, – Moving/ Non-moving, Revolver Publishing, Berlin 2014, S. 237
1 Thomas Elsaesser, Stop/ Motion zitiert in: Henning Engelke, Ein Monster, verborgen in der Zeit, Fotografie und Film, Snoeck, Köln 2018
2 Gustav Hamos, Katja Pratschke, Thomas Tode, ebd. S. 234, 236

 

 

 

 

 

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